Alopezie, umgangssprachlich Haarausfall, bezeichnet das übermäßige Ausfallen von Haaren. Etwa 80 % aller Männer und 40 % aller Frauen sind im Lauf ihres Lebens davon betroffen. Dabei kann der Haarverlust diffus auftreten oder nach typischen Mustern verlaufen.
Zyklus des Haarwuchses
Der Haarwuchs folgt einem Zyklus mit mehreren Phasen:
- Anagenphase (Wachstumsphase): Dauer 2–6 Jahre. Etwa 85–90 % der Haare sind gleichzeitig in dieser Phase und wachsen aktiv aus den Follikeln.
- Katagenphase (Übergangsphase): Dauer ca. 2 Wochen. Nur 1–3 % der Haare befinden sich in diesem Zustand. Das Haarwachstum stoppt, der Haarfollikel zieht sich zurück und schrumpft.
- Telogenphase (Ruhephase): Dauer etwa 3 Monate. 7–14 % der Haare sind in Ruhe. Schließlich fällt das Haar aus. Anschließend beginnt ein neues Haar im Follikel zu wachsen und verdrängt das alte.
Bei einem gesunden Haarzyklus gleichen sich Ausfall und Neubildung normalerweise aus. Erst wenn viele Haare gleichzeitig in der Telogenphase sind, wird Haarausfall sichtbar.
Stadien der Alopezie
Die androgenetische (erblich bedingte) Alopezie wird klassisch mit der Norwood-Hamilton-Skala in bis zu 7 Stadien eingeteilt. Dies beschreibt vor allem das typische Muster beim Mann: Stufe 1 bedeutet kaum erkennbaren Haarverlust (eventuell leichte Geheimratsecken), während Stufe 7 fast eine vollständige Glatze bezeichnet, bei der nur noch seitlich ein schmaler Haarkranz übrig bleibt. Frauen zeigen oft eine andere Verteilung: Hier kommt es meist zu einer diffusen Ausdünnung entlang des Mittelscheitels bei erhaltener Stirnhaarlinie (sog. Ludwig-Skala).
Ursachen der Alopezie
Haarausfall kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Häufig spielen erbliche Anlagen und Hormonspiegel eine Rolle – bei der androgenetischen Alopezie sind zum Beispiel Haarfollikel genetisch besonders empfindlich gegenüber dem Hormon DHT. Weitere Auslöser können sein:
- Genetik und Hormone: Erblich bedingter Haarausfall (AGA) mit zunehmender Miniaturisierung der Follikel.
- Autoimmunerkrankungen: Bei Alopecia areata attackiert das Immunsystem die Haarfollikel.
- Medikamente/Therapien: Chemotherapie (starkes anagenes Effluvium) führt praktisch immer zu massivem Haarverlust. Auch andere Medikamente – von Blutverdünnern über bestimmte Antidepressiva bis zu Biologika (z.B. TNF-α-Inhibitoren wie Adalimumab) – sind als Auslöser beschrieben.
- Hormonelle Störungen: Schilddrüsenfehlfunktionen, Diabetes oder das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) können mit Haarausfall einhergehen.
- Nährstoffmangel: Eisen-, Protein- oder Zinkmangel schwächen das Haarwachstum. Das Bundesinstitut für Risikobewertung betont jedoch, dass in der Regel eine normale, ausgewogene Ernährung ausreicht. Spezielle Diäten stoppen erblichen Haarausfall nicht.
- Stress und Schock: Starker emotionaler oder körperlicher Stress kann ein Telogen Effluvium auslösen: Innerhalb kurzer Zeit fallen dann unverhältnismäßig viele Haare aus.
- Mechanische Belastung: Enge Frisuren (Zöpfe, Dutts) oder Haarverlängerungen ziehen am Haar und führen zu Traktionsalopezie. Häufiges Bleichen, Föhnen oder Aggressivpflege schwächt das Haar.
- Infektionen: Pilzinfektionen der Kopfhaut (Tinea capitis) oder andere Dermatosen können lokal Haarausfall verursachen.
Symptome von Haarausfall
Die Symptome hängen von der Form des Haarausfalls ab. Typische Anzeichen sind:
- Ausdünnung am Oberkopf: Beim erblichen Haarausfall ziehen sich bei Männern meist Stirn- und Geheimratsecken zurück, der Scheitel wird größer. Bei Frauen wird oft der Mittelscheitel breiter.
- Kahle Stellen: Runde oder ovale, kahle Flecken auf der Kopfhaut deuten auf Alopecia areata hin. Manchmal fallen auch Augenbrauen oder Barthaar aus.
- Plötzliche vermehrte Haarverluste: Nach Krankheiten, Operationen oder emotionalen Schocks kann es zu einem plötzlichen Haarschub kommen. Oft sieht man beim Kämmen oder Waschen dann auffällig viele Haare (mehr als 100 pro Tag).
- Diffuser Haarverlust: Eine großflächige Ausdünnung oder Ausfall über den ganzen Kopf hinweg kann auf Telogen Effluvium oder hormonelle Ursachen hindeuten.
- Andere Beschwerden: Juckreiz, Brennen, Rötungen oder Schuppen auf der Kopfhaut weisen auf entzündliche Ursachen oder Infektionen hin. Ebenso kann das Gefühl einer Spannungsperücke oder Schmerzen auftauchen.
Arten von Alopezie
Man unterscheidet mehrere Formen des Haarausfalls:
- Androgenetische Alopezie: Erblich bedingter, dauerhaft fortschreitender Haarausfall (Mann- und Frauenschütterung) nach den genannten Mustern.
- Alopecia areata: Eine Autoimmunform mit plötzlich auftretenden glatten, oft runden kahlen Stellen. Sie kann – unbehandelt – auch zu Alopecia totalis (vollständiger Kopfverlust) oder universalis (Verlust aller Körperhaare) führen.
- Telogenes Effluvium: Temporärer, diffuser Haarausfall nach Stressoren (Operation, hohes Fieber, Crashdiäten). Die Haarwurzeln bleiben erhalten, die Dichte normalisiert sich oft nach Monaten wieder.
- Anagenes Effluvium: Sehr starker Haarverlust (inkl. Wimpern/Brauen) innerhalb von Wochen, typisch bei Chemotherapie oder Vergiftungen.
- Tinea capitis: Pilzinfektion der Kopfhaut, führt zu kahlen, schuppigen Flecken und oft Juckreiz.
- Traktions- und Narbenalopezie: Dauerhafte Ausdünnung durch Zug oder Vernarbung; Narbenformen (z.B. Lichen planopilaris) gehen mit irreversiblem Haarfollikel-Verlust einher.
Diagnose
Die Abklärung erfolgt meist durch einen Dermatologen. Grundlage sind Anamnese und klinische Untersuchung: Muster und Geschwindigkeit des Haarausfalls, Familienanamnese, Medikamente, Lebensumstände. Der Arzt führt einen „Zupf-Test“ durch (einige Haarsträhnen sanft ziehen) und begutachtet Kopfhaut und Körperbehaarung. Bei Verdacht auf spezifische Erkrankungen hilft die Trichoskopie (Haar- und Kopfhautlupe) weiter. Ergänzend werden oft Blutwerte bestimmt (Eisen, Schilddrüsenhormone, Vitamin-D-Spiegel etc.). Bei unklaren Fällen oder entzündlichen Narbenformen kann auch eine Kopfhautbiopsie nötig sein. In vielen Fällen reicht allerdings bereits die Beobachtung der Haarmuster aus, um Alopezieformen auseinanderzuhalten.
Behandlung von Alopezie
Die Therapie richtet sich nach der Ursache: Wird z.B. ein Nährstoffmangel festgestellt oder eine Grunderkrankung (z.B. Schilddrüsenerkrankung), wird diese zuerst behandelt. Spezielle “Wundermittel” gibt es nicht, aber verschiedene Ansätze können Haarausfall verlangsamen oder neues Wachstum fördern:
- Topische und medikamentöse Therapie: Bei androgenetischer Alopezie bewährt sich Minoxidil (Schaum oder Lösung, 2–5 %) und bei Männern oft Finasterid (oral). Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) überprüft seit Oktober 2024 die Sicherheit von Finasterid/Dutasterid neu, da mögliche Nebenwirkungen untersucht werden.
- Hormontherapie: Vor allem bei hormonellen Ursachen kann eine östrogen- oder antiandrogene Therapie sinnvoll sein.
- Immunmodulatoren: Kortikosteroide (lokal oder injiziert) kommen bei Alopecia areata zum Einsatz. Neue JAK-Inhibitoren (z.B. Baricitinib) sind inzwischen für schwere Alopecia areata zugelassen und haben in Studien eine hohe Erfolgsrate gezeigt. Sie hemmen gezielt entzündliche Signalwege im Haarfollikel und können die Haarwurzeln „zur Ruhe“ bringen.
- Regenerative Verfahren: Plättchenreiches Plasma (PRP) aus dem eigenen Blut kann in die Kopfhaut injiziert werden. Dies regt die Durchblutung und Wurzelzellen an und hat in ersten Studien (meist in Kombination mit anderen Therapien) vielversprechende Effekte gezeigt. Auch Microneedling (Dermaroller) aktiviert die Kopfhaut: Eine 2024 publizierte Metaanalyse fand, dass die Kombination aus Minoxidil und Microneedling die Haardichte signifikant mehr steigert als eine Einzelbehandlung.
- Chirurgische Haarverpflanzung: Bei lokalem Haarausfall können Haare aus dichter bewachsenen Kopfhautfeldern (Spenderareale) in kahle Stellen verpflanzt werden. Dies liefert oft sehr natürliche Ergebnisse, sofern genügend Spenderhaare vorhanden sind.
- Behandlung von Infektionen: Tinea capitis wird mit oralen Antimykotika (z.B. Terbinafin) und speziellen medizinischen Shampoos behandelt.
Wichtig ist auch eine schonende Haarpflege während der Therapie (breiter Kamm, keine übermäßige Hitze oder scharfe Chemikalien). Viele kombinieren Therapien, um optimale Resultate zu erzielen.
Vorbeugung
Nicht alle Haarausfallformen lassen sich verhindern, aber man kann das Risiko reduzieren:
- Schonende Haarbehandlung: Vermeide aggressives Föhnen, Dauerwellen oder Glätten. Nutze lauwarmes Wasser, Babyshampoos und breite Bürsten, um Haarbruch zu vermindern.
- Lockere Frisuren: Vermeide stundenlang eng sitzende Zöpfe, Strähnen oder Extensions, um Zugbelastung zu minimieren.
- Ausgewogene Ernährung: Eine gesunde, nährstoffreiche Ernährung mit ausreichend Proteinen, Eisen, Zink, Biotin und Vitaminen unterstützt das Haarwachstum. Spezielle Nahrungsergänzungen helfen nur bei tatsächlichem Mangel.
- Lebensstil: Stressmanagement (Sport, Entspannungsübungen), Rauchstopp und ausreichender Schlaf fördern die Regeneration des Körpers – und auch der Haarfollikel. UV-Schutz (Hut) für die Kopfhaut kann Haarschäden durch Sonne vorbeugen.
- Medikamenten-Check: Sprich mit deinem Arzt, falls ein Medikament als Ursache vermutet wird. Manchmal lässt sich auf alternative Präparate umstellen.
- Kühlen bei Chemo: Bei einer Chemotherapie kann eine Kühlhaube das Ausfallen der Haare mildern, wenn sie verfügbar ist.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung betont zwar, dass kein spezielles “Superfood” erblich bedingten Haarausfall stoppt, aber ein gesunder Lebensstil trägt generell zu kräftigerem Haar bei.
Wann zum Arzt?
Du solltest einen Arzt aufsuchen, wenn der Haarausfall dich beunruhigt oder zusätzliche Beschwerden auftreten. Alarmzeichen sind zum Beispiel:
- Plötzliche, großflächige oder kreisrunde kahle Stellen.
- Ein rapider Anstieg des täglichen Haarverlusts (deutlich über 100 Haare/Tag).
- Schmerzen, Brennen, Rötungen oder Schuppen an der Kopfhaut.
- Verlust von Wimpern, Brauen oder andere Hautsymptome (z.B. Acnelästung, Pigmentstörungen).
- Allgemeinsymptome wie ungewöhnlicher Gewichtsverlust, Müdigkeit oder Menstruationsstörungen (Hinweise auf Stoffwechsel- oder Hormonprobleme).
Beim Termin solltest du Verlauf und Muster deines Haarausfalls genau beschreiben, aktuelle Medikamente und familiäre Häufung mitteilen. So kann der Dermatologe gezielt Abklärungen (z.B. Blutwerte, Biopsie) vornehmen und gemeinsam mit dir passende Therapien besprechen.
Fazit
Alopezie ist ein sehr verbreitetes Problem mit vielen möglichen Ursachen – von der Vererbung über Krankheiten bis hin zu Stress oder Pflegefehlern. Eine gesunde Lebensführung (ausgewogene Ernährung, Stressreduktion, sanfte Haarpflege) kann zwar nicht alle Arten von Haarausfall verhindern, aber das Haarwachstum unterstützen. Moderne Therapien bieten heute viele Optionen: Neben bewährtem Minoxidil/Finasterid setzen Forscher auf neue Wirkstoffe. Beispielsweise stimuliert der natürliche Zucker 2-Deoxy-D-Ribose in Studien das Haarwachstum beinahe so stark wie Minoxidil. Und JAK-Inhibitoren haben bei Alopecia areata bereits einen Durchbruch erzielt. Durch frühzeitige Abklärung und aktuelle Behandlungsmethoden lässt sich oft dauerhafter Haarverlust begrenzen oder verlangsamen – was Betroffenen viel Lebensqualität zurückgeben kann.